Das magische Sechseck der Wirtschaftspolitik

Mehrere Geschäftsleute sitzen gemeinsam an einem Tisch
Das Magische Sechsecks beschreibt Ziele, nach denen die deutsche Wirtschaft dauerhaft ausgerichtet ist. Foto: rawpixel/pixabay.com

Wirtschaftspolitische Strukturen unterliegen vielerlei Gesetzmäßigkeiten und sind oft komplexer, als man ohnehin schon vermuten mag. Dabei sind sie unter anderem maßgeblich von festgesteckten Zielen geprägt, deren Verfolgung die Wirtschaft in Deutschland dauerhaft möglichst stabil halten soll. Das Magische Sechsecks beschreibt diese Ziele, nach denen die deutsche Wirtschaft dauerhaft ausgerichtet ist.

Die Geschichte des Magischen Sechsecks

Zunächst handelte es sich mit Beschluss des Stabilitätsgesetzes im Jahre 1967 um ein “Magisches Viereck” zur Bestimmung der vier großen zu erreichenden Ziele der bundesdeutschen Wirtschaft. Diese vier großen wirtschaftspolitischen Ziele – Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und Wohlstand – wurden um zwei weitere Ziele, oder anders formuliert zwei gesellschaftspolitische Werte ergänzt. Darin geht es zum Einen um die Erhaltung einer lebenswerten Umwelt (welche seit 1994 mit der Aufnahme ins Grundgesetz nochmal an Bedeutung gewann) mit Hinblick auf den Klimawandel und die zunehmende Umweltverschmutzung, zum Anderen um eine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung in der Bevölkerung.

Quantitative Ziele oder Magisches Viereck

1. ZIEL: Ein möglichst hoher Beschäftigungsgrad bzw. Vollbeschäftigung

Hierbei handelt es sich um die Wichtigste der sechs Prämissen der deutschen Wirtschaftspolitik. Vollbeschäftigung ist ein Zustand, der zuletzt vor 60 bis 70 Jahren in der Bundesrepublik geherrscht hat. Diesen gilt es, wieder herzustellen. Idealerweise soll es also keine Arbeitslosigkeit geben. Dieses Ziel gilt bereits als erreicht, wenn die Arbeitslosenquote etwa 3% oder darunter beträgt. Das hängt damit zusammen, dass beispielsweise saisonale Arbeitslosigkeit von Handwerkern wie Maurern niemals gänzlich zu verhindern sein wird. Auch wird es immer einen kleinen Prozentsatz an Menschen geben, die schlichtweg nicht arbeiten wollen. Kurzzeitige Arbeitslosigkeit durch persönliche Umorientierung ist ebenfalls nicht immer zu verhindern. Manchmal wird eine neue Stelle erst eine gewisse Zeit nach Umzug, Abschluss der Ausbildung und so weiter frei. Daher gelten 3% bereits als bester realistisch erreichbarer Zustand. 2018 lag der Wert immerhin bei etwas über 5%, was so gut ist wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Zum Vergleich: Vor einigen Jahren, nach der Krise 2008, lag die Arbeitslosenquote in Deutschland sogar noch im zweistelligen Bereich.

2. ZIEL: Ein angemessenes Wirtschaftswachstum

Es stetes Wachstum der Wirtschaft ist zwingende Bedingung für die langfristige Stabilität eines Landes. Es bedeutet, dass die Menschen Arbeit finden, Güter erwerben und somit Steuern zahlen können. So wird ein Kreislauf am Leben erhalten, ohne den der Handel nicht möglich wäre. Ein vor allem angemessenes Wirtschaftswachstum zu erzielen ist nun die große Kunst. Die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (sog. BIP) von bis zu 5 % im Jahr wird als ideal angesehen. Es sagt im Übrigen nichts über den tatsächlichen Wohlstand aus, verfälschen Schwarzarbeit und andere Unbekannte doch das Ergebnis.

Geht es jedoch zu schnell voran, kann das System kippen, da unter anderem das Preisniveau destabilisiert wird und die Beschäftigungszahlen sinken. Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht gerät ebenfalls in Gefahr und so kann aus dem anfänglichen Boom ganz schnell eine ernst zu nehmende Krise der Wirtschaft werden. Ein zu geringes Wachstum ist auf Dauer ebenfalls Gift für die Wirtschaft. Der Staat kann beiden Extremen durch das Heben und Senken von Steuern sowie das Schaffen von anderweitigen Anreizen ein Stück weit entgegen steuern.

Das Wirtschaftswachstum wird also durch diverse Faktoren ausgebremst und angekurbelt. Ein stabiles Preisniveau schafft das Gefühl von Sicherheit, regt damit zu Investitionen an, ermöglicht wirtschaftliches Wachstum, durch welches es wiederum selbst mit bedingt ist. Das Ziel der Erhaltung unserer Umwelt hingegen stellt sich dem wirtschaftlichen Wachstum regelmäßig in den Weg. So werden zum Beispiel aus Umweltgründen nicht einfach alle Wälder abgeholzt, Straßen manchmal auf Umwegen errichtet und so fort. Hier wird bereits deutlich, dass die uneingeschränkte Umsetzung des Magischen Sechsecks nicht ohne Weiteres möglich ist.

3. ZIEL: Ein stabiles Preisniveau

Wie bereits dargestellt ist ein stabiles Preisniveau unerlässlich für eine funktionierende Marktwirtschaft. Es sichert nicht nur den sozialen Frieden, sondern erlaubt Anschaffungen und Investitionen. Ermöglicht wird ein stabiles Preisniveau unter anderem durch gemäßigte Lohnabschlüsse bei Tarifverhandlungen oder eine wenn nötig restriktive Geldpolitik (gemeint ist die Anhebung des Leitzins und damit die Reduzierung der Geldmenge auf dem Markt). Wichtig ist außerdem, Anreize für die inländische Nachfrage zu schaffen. Die Europäische Zentralbank (sog. EZB) weist eine Inflationsrate von etwa 2 Prozent als Ideal aus. Steigt die Rate zu rasant, droht nahezu allen Gütern ein enormer Werteverlust. Während der letzten großen Wirtschaftskrise war in vielen Ländern genau das geschehen.

4. ZIEL: Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht

Außenpolitik ist kein Selbstzweck, sondern eng mit wirtschaftlichen Bedürfnissen verknüpft. Eine gute Außenpolitik ist für ein Land enorm wichtig, da es nur so gute Handelsbeziehungen knüpfen kann. Schließlich lebt ein Land wie Deutschland beispielsweise vom Export. Aber auch der Import muss unter einem guten Stern stehen, da in der Regel kein Staat komplett autark ist. Deutschland ist auf ausländische Rohstoffe angewiesen.

Das Ziel eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts bedeutet nun also nichts mehr und nichts weniger als den Import und den Export eines Landes aneinander anzugleichen. Wer ausschließlich Import betreibt, gefährdet auf Dauer seine Souveränität, macht sich abhängig von anderen und kann selbst keine funktionierende Binnenwirtschaft aufbauen. “Messen” kann man die Handelsbilanz über das Bruttoinlandsprodukt. Der Staat wird hier nur dann Eingreifen, wenn diese Handelsbilanz dauerhaft negativ ausfällt und er droht, immer mehr zu einem Importland zu werden. Als jahrelanger Exportweltmeister braucht Deutschland dieses Szenario jedoch nicht zu fürchten. Dennoch ist es wichtig, die Handelsbilanz im Auge zu behalten, damit es auch so bleibt.

Qualitative Ziele oder Magisches Sechseck

5. ZIEL: Die Erhaltung einer lebenswerten Umwelt

Die Erhaltung einer lebenswerten Umwelt ist ein besonders heikles Ziel, wenngleich es ungemein wichtig für das langfristige Überdauern der Menschen auf diesem Planeten ist. Die Wirtschaft braucht nicht nur heute, sondern auch langfristig Ressourcen, um weiterhin stabil bleiben zu können, und ist daher gezwungen, sich dem Umweltschutz in gewissem Maße zu beugen. Zugleich bedeutet dieser jedoch, zumindest aktuell, dass gewisse Sparten der Wirtschaft gebremst werden und sich neu orientieren müssen. Daraus ergeben sich zweifelsfrei Chancen, dennoch ist de facto in der heutigen Zeit der Umweltschutz Grund genug, geltende Strukturen einzureißen und solche Umbrüche bergen zumindest zeitweise auch Unsicherheiten. Bestes aktuelles Beispiel hierfür ist die Automobilindustrie und die Umstellung auf das Elektrofahrzeug. Aber auch der lang diskutierte Braunkohleausstieg birgt seine Tücken, gibt es aktuell doch keine wirkliche Alternative, um den enormen Verlust an Arbeitsplätzen zu kompensieren. Hier steht der Schutz der Umwelt dem Ziel der Vollbeschäftigung entgegen.

6. ZIEL: Die gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen

Eine Verteilung von Einkommen und Vermögen, die von allen Teilen der Bevölkerung als gerecht angesehen wird, wird bei dem in der Bundesrepublik Deutschland praktizierten Modell der Marktwirtschaft nicht realisierbar sein. Das liegt daran, dass beide Größen sich nicht beliebig bilden lassen, sondern von Angebot und Nachfrage bestimmt werden. Die Pro-Kopf-Lohn-Quote ist dabei der Indikator. Es gibt zwar Möglichkeiten für den Staat, in die Verteilung einzugreifen, wie etwa über Steuern, aber dies führt unter Umständen zu Zielkonflikten mit anderen Staatszielen. So verhält sich also die angestrebte gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen inkongruent zu anderen bereits genannten Zielen. Das macht seine weitere Verfolgung nicht unmöglich, doch es muss hingenommen werden, dass dafür andere Ziele hintan gestellt werden müssen.

Der Haken an der Sache / Umsetzbarkeit des magischen Sechsecks

Das magische Sechsecks trägt aus einem ganz bestimmten Grund den Begriff “magisch” mit sich. Die Erreichung aller sechs oben benannten Ziele ist in der Realität, wie bereits an mehreren Stellen aufgezeigt wurde, nicht möglich. Das hat vor allem den Grund, dass sie sich zum Teil zwar überlappen und kongruent sind, aber eben nur zum Teil. Gleichzeitig verhalten sie sich eben auch inkongruent zueinander, ja sogar unvereinbar.

Der Versuch, sie alle zu gleichen Teilen an die Spitze zu treiben, kann daher durchaus problematisch werden. So kann beispielsweise eine zu hohe Inflation oder ein völliges Stagnieren der Wirtschaft die Folge sein. Die vollkommene Erfüllung der Ziele wird jedenfalls nicht erreicht. Exerziert man die verschiedensten Szenarien durch, wird es umso klarer, dass immer mindestens eines der genannten Ziele vernachlässigt oder übersehen werden würde.

Die Frage ist also: Ist der Gedanke an ein Magisches Sechseck, das niemals vollständig erreicht werden kann, überhaupt sinnvoll? Lohnt es sich, danach zu streben, wenn es doch auch Widersprüchlichkeiten in der Umsetzung aufweist?

Fazit: Die Magie der wirtschaftspolitischen Ziele

Es gibt also vier quantitative und zwei neuere, mehr gesellschaftspolitisch angehauchte qualitative Ziele in der Wirtschaftspolitik. Letztere deklarieren hoch angesetzte, doch dadurch nicht weniger wichtige Werte. Allein, sie schriftlich verankert zu haben und in alle Pläne und Entscheidungen über die Wirtschaft mit einfließen zu lassen, macht im Endergebnis einen großen Unterschied. Alle sechs Ziele mit einander auf einen aus allen Richtungen zufrieden stellenden Nenner zu bringen, ist dabei nie möglich.

Das magische Sechsecks bleibt somit ein theoretisches Abbild unseres Strebens nach einem utopischen Zustand in der Wirtschaft. Die Unmöglichkeit seiner Realisierung macht es jedoch nicht unnötig zu verfolgen. Ganz im Gegenteil sogar braucht der Mensch diese “Utopien”. Zunächst, um zu verstehen, welche Zusammenhänge und Verkettungen in einem Bereich bestehen, dann aber auch, um eine Richtung zu haben und sich nicht im Chaos zu verlieren. Handwerksbetriebe, Politiker, Manager, sie alle streben im Großen und Ganzen in eine gemeinsame, vorgegebene Richtung. Auch, wenn der Idealzustand niemals erreicht werden kann, wird man ihm doch immer ein Stück näher zu kommen versuchen. Das magische Sechsecks ist also Ausgangspunkt für diverse Regeln und gleichzeitig auch Möglichkeiten. Es bildet den Rahmen, in dem sich die deutsche Wirtschaft bewegen soll und kann, und schafft so eine Zusammenarbeit auch mit anderen Ländern, die auch in Zukunft gut für das Land ist oder zumindest sein kann.

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